Wie Ochs und Esel zur Krippe im Stall von Betlehem kamen
„Das wird wohl nicht einfach werden“, sagte sich Erzengel Michael und strich sich sorgenvoll über seine wallenden Locken. Er war eigens vom Erzengel Gabriel beauftragt worden, passende Tiere für den Stall zu bestimmen. Die Zeit drängte, denn die Geburt des kleinen Jesuskindes im Stall von Bethlehem stand kurz bevor. Die Hirten wie auch die drei Weisen aus dem Morgenland waren bereits unterwegs, um dem Stern von Bethlehem zu folgen, der sie zu dem Kind in der Krippe führen würde.
Erzengel Michael rief sogleich alle Tiere aus dem Umkreis zu sich, um eine Entscheidung zu treffen. Als erster drängte sich der Löwe vor. „Ich bin der König aller Tiere und habe vor nichts Angst!“ Zum Beweis brüllte er kräftig wie es nur ein richtiger Löwe kann, so dass Engel Michael zusammenzuckte. „Ich zerreiße jeden, der dem Jesuskind zu nahe kommt!“, bekräftigte der Löwe zusätzlich. Aber Erzengel Michael schüttelte den Kopf, denn das war ihm doch zu gefährlich. Niemand sollte schließlich Angst haben oder sein Leben verlieren, wenn er die Krippe aufsuchen wollte. Er lobte den Löwen für seine Kraft und seinen Mut, betonte aber, dass alle Besucher beim Jesuskind willkommen seien und keine Angst bekommen dürften.
Er wandte sich dem Affen zu, der gleich seine Gewandtheit und Schnelligkeit vor Augen führte und flink herumturnte. Erzengel Michael zeigte sich beeindruckt, doch das war ihm viel zu unruhig.
„Nehmt doch mich“, sagte der Fuchs. „Ich bin ein raffinierter Dieb und kann für das Jesuskind alles stehlen, was es braucht!“ Doch ein solch sündhaftes Verhalten kam für Erzengel Michael überhaupt nicht in Frage. Er wies den Fuchs energisch in die Schranken und forderte ihn auf, künftig auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Nun trat der Hofhund des Stallbesitzers nach vorne. „Ich bin ein guter Wachhund und habe schon einige Diebe verjagt“ sagte er voller Stolz. „Das zählt hier nicht“, gab Erzengel Michael zurück. „Hier müssen keine Diebe verjagt werden! Aber mach du nur weiterhin deine gute Arbeit.“
Leise schlich sich nun die Hauskatze nach vorne. Sie sagte in ihrem miauenden Singsang „Ich habe ein sanftes Gemüt und würde das Jesuskind abschlecken, bis es ganz sauber ist!“ Erzengel Michael schüttelte sich. „Das ist sicher gut gemeint, liebe Katze, aber das Jesuskind abschlecken, das geht nun wirklich nicht!“
In der Folge stellten sich noch viele andere Tiere vor, darunter auch eine Schlange, ein Mäuslein, eine Giraffe und ein Elefant. Die beiden letztgenannten waren eindeutig zu groß für den kleinen Stall. Sie hätten nicht einmal durch die Tür gepasst. Die Schlange hätte wohl zu große Angst ausgelöst und ein Mäuslein wäre wohl auch nicht passend gewesen. Die Schafe wollten lieber bei ihrer Herde bleiben und der Ziegenbock roch einfach zu streng. Aber Erzengel Michael fand für alle aufmunternde Worte, denn jedes Tier ist ein Geschöpf Gottes.
Schließlich wandte sich Engel Michael dem Ochsen und dem Esel zu, die ganz hinten standen und sich gar nicht nach vorne getraut hatten.
„Kommt doch einmal her“ forderte sie Erzengel Michael freundlich auf. „Warum habt ihr euch nicht vorgestellt? fragte er. „Ach Erzengel Michael,“ antwortete der Esel. „Wir haben nichts gelernt und können nur Lasten tragen und Karren ziehen. Wir jagen auch niemandem Angst ein, denn wir sind friedvolle bescheidene Geschöpfe.“ Der Esel ließ traurig seine Ohren hängen und auch der Ochse sah ganz betrübt aus.
„Ihr seid doch genau richtig“, rief Erzengel Michael freudestrahlend und klatschte in die Hände. „Das Jesuskind liebt ganz besonders die Sanftmut, die Demut und die Bescheidenheit und es hat ein Herz für alle Leidenden! Kommt nach vorne zur Krippe und leistet dem Jesuskind Gesellschaft! Gleich wird der Heiland geboren und in der Krippe liegen!“
Erzengel Michael segnete zum Abschluss Menschen und Tiere und kehrte mit rauschendem Flügelschlag wieder in den Himmel zurück.
Und so kam es, dass auch heute noch, über 2000 Jahre später, weltweit Ochs und Esel an der Krippe stehen und in harmonischer Eintracht mit den Hirten, den drei Weisen aus dem Morgenland sowie Maria und Joseph dem neu geborenen Jesuskind huldigen.